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  • Autorenbild: Patrick Jiranek
    Patrick Jiranek
  • 18. März
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 19. März

Gerechtigkeit in Organisationen ist mehr als faire Bezahlung – sie prägt Arbeitszufriedenheit, #Vertrauen und Zusammenarbeit. Neben Gehältern zählen transparente Prozesse und respektvolle Führung. Besonders wichtig: Wie Entscheidungen kommuniziert werden, beeinflusst die Wahrnehmung von Fairness oft stärker als die Entscheidung selbst. Eine gerechte Unternehmenskultur entsteht durch klare Strukturen und eine Kultur der Selbstverantwortung. Nur wenn Organisation und Mitarbeitende gemeinsam daran arbeiten, entsteht ein wirklich faires Arbeitsumfeld.



Gerechtigkeit – ein großes Wort, das tief in uns verwurzelt ist. Schon Kinder reagieren empfindlich darauf, wenn sie sich unfair behandelt fühlen. „Warum bekommt mein Bruder ein größeres Stück Torte?“ Diese frühen Erfahrungen prägen unser Empfinden für Fairness und begleiten uns oft bis ins Berufsleben. Doch was genau bedeutet Gerechtigkeit in Unternehmen, und warum ist sie so entscheidend für die Zufriedenheit und Zusammenarbeit der Mitarbeitenden?


Verschiedene Blickwinkel auf Gerechtigkeit


Nehmen wir das Beispiel einer Torte im Büro. Philosophen fragen: Was ist gerecht? Sie diskutieren, nach welchem Prinzip die Torte aufgeteilt werden sollte – nach Hunger, nach Alter oder für alle gleich? Juristen kümmern sich um Gesetze und Vorschriften. Sie schauen, ob es eine Firmenrichtlinie zur Tortenverteilung gibt. Psychologen hingegen interessieren sich für die subjektive Wahrnehmung – warum sich etwa manche benachteiligt fühlen, welche der obigen Prinzipien als gerecht gesehen werden. Denn was für die eine Person gerecht erscheint, empfindet die andere als ungerecht. Besonders im Arbeitskontext spielt diese subjektive Sicht eine große Rolle.




Gerechtigkeit in Organisationen als Marathonlauf


Wir können uns eine Organisation als Marathonlauf vorstellen. Die Mitarbeitenden sind die Läufer, die sich anstrengen, um ins Ziel zu kommen – also Umsatz zu generieren oder Projekte erfolgreich abzuschließen. Doch was sorgt dafür, dass sich alle fair behandelt fühlen? Jahrzehntelange psychologische Forschung zu Gerechtigkeit in Organisationen hat drei Aspekte ergeben:


  1. Verteilungsgerechtigkeit oder «distributive justice»

Haben alle Läufer die gleiche Ausrüstung und faire Startbedingungen? Das entspricht der gerechten Verteilung von Gehältern, Boni und Ressourcen im Unternehmen.


  1. Verfahrensgerechtigkeit oder «procedural justice»

Sind die Regeln des Wettkampfs für alle gleich? In der Organisation bedeutet das transparente, einheitliche und nachvollziehbare Entscheidungsprozesse.


  1. Interaktionale Gerechtigkeit oder «interactional justice»

Wie verhält sich der Coach bzw. die Führungskraft gegenüber den Läufern? Werden sie respektvoll behandelt, motiviert und wertgeschätzt? Diese Dimension ist entscheidend für das #Vertrauen der Mitarbeitenden in ihre Vorgesetzten.


Wenn ein Läufer bevorzugt wird oder die Regeln unfair erscheinen, führt das zu Frustration, Unruhe und schlimmstenfalls zum Ausstieg aus dem Rennen – oder im Unternehmenskontext: zur inneren Kündigung oder zum Jobwechsel.



Warum «interaktionale» Gerechtigkeit besonders zählt


Während faire Gehälter und transparente Prozesse wichtig sind, zeigt sich in der Praxis oft: Die Art und Weise, wie Entscheidungen kommuniziert werden, macht den größten Unterschied. Ein und dieselbe Entscheidung kann entweder als fair oder als verletzend empfunden werden – je nachdem, wie sie vermittelt wird.


Doch nicht jeder Mitarbeitende reagiert gleich auf potenzielle Ungerechtigkeit. Manche fühlen sich schnell gekränkt, andere nehmen dieselbe Situation gelassen hin. Das hängt mit persönlichen Erfahrungen, Erwartungen und dem Grad an #Selbstverantwortung zusammen. Wer von seiner Führungskraft permanente Anerkennung erwartet, fühlt sich schneller benachteiligt als jemand, der seine Zufriedenheit stärker aus sich selbst herauszieht.



Gerechtigkeit – eine Frage der Perspektive, Klarheit und Haltung


Es gibt nicht die eine Gerechtigkeit in Organisationen. Vielmehr existieren verschiedene Dimensionen, und jeder Mensch nimmt Fairness anders wahr. Für eine gerechte Unternehmenskultur bedeutet das: sie entsteht nicht allein durch faire Gehälter oder transparente Prozesse – sondern vor allem auch durch eine wertschätzende, respektvolle Kommunikation.


Dabei ist Gerechtigkeit keine Einbahnstraße. Sie lebt sowohl von den Verpflichtungen der Organisation als auch von der persönlichen Entwicklung der Mitarbeitenden. Unternehmen können durch klare Regeln, transparente Entscheidungsprozesse und faire Führung viel dazu beitragen, eine gerechte Arbeitsumgebung zu schaffen.


Doch auch die Mitarbeitenden selbst sollten beitragen: Wer Gerechtigkeit nur von außen einfordert, statt auch an der eigenen Resilienz und #Selbstverantwortung zu arbeiten, bleibt in einer passiven Haltung gefangen. Eine gesunde Unternehmenskultur fördert daher nicht nur Fairness in Strukturen und Führung, sondern unterstützt auch die persönliche Entwicklung jedes Einzelnen – hin zu mehr Selbstverantwortung und einer reifen Sichtweise auf Fairness. Schlussendlich entsteht ein faires Arbeitsumfeld im Zusammenspiel aus organisationaler Klarheit bezüglich Entscheidungen und individueller Haltung.


  • Autorenbild: Patrick Jiranek
    Patrick Jiranek
  • 14. März
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 18. März

«Zwischen Reiz und Reaktion gibt es einen Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.» (Viktor Frankl)



Unsere Reize sind wie Wellen im Ozean – sie kommen unaufhaltsam, mal sanft, mal stürmisch. Selbstverantwortung bedeutet, diese Wellen nicht einfach zu erleiden oder gegen sie anzukämpfen. Vielmehr sie zu lesen, zu spüren und auf ihnen zu surfen. Wer seine Impulse kennt, kann entscheiden, wann es Zeit ist, mitzugehen, wann es zu warten gilt und wann es besser ist, auszuweichen. Selbstverantwortung ist die Kunst, eigene Impulse bewusst wahrzunehmen, zu verstehen und angemessen mit ihnen umzugehen. Das heisst, Impulse weder reflexhaft auszuleben noch sie zu unterdrücken.

 

Aus Corona folgte eine wellenreiche technologische und soziale Entwicklung. So schnell vollzogen sich Veränderungen in der Menschheitsgeschichte bisher selten. Und das war, glaubt man verschiedenen Zukunftsforschern, erst der Anfang. Schon heute fühlen sich viele Menschen zwischen wirtschaftlichem Druck, AI-Disruption und politischer Polarisierung fremdbestimmt. Deshalb ist es so wichtig, die eigenen Reaktionen auf unvermeidbare Reize verstehen zu lernen.


Die Dynamik zwischen Reiz und Reaktion


Häufig tendieren wir dazu, den Reiz im Aussen schnell auszuschalten, statt bei unserer Reaktion im Innen anzusetzen; etwa, wenn ich als Vater am Rand vom Spielplatz stehe. Das fremde Kind, das mein Kind von der Schaukel schubst, kann ich wütend anschreien und die passiven «laissez-faire» Eltern gleich mit. Der Triggerpunkt hatte mich und ich habe womöglich Dinge gesagt, die ich später bereue.



Im Leben stehen wir oft vor der Entscheidung: Soll ich im Außen handeln oder meine innere Reaktion regulieren? Ein Beispiel: Nach einer Präsentation gibt der Chef ungerechtfertigt kritisches Feedback. Jetzt gibt es zwei mögliche Reaktionen:

 

Wer schnell handelt, sollte manchmal innehalten. Wenn jemand dazu neigt, sofort gekränkt zu reagieren, könnte eine bessere Strategie sein: Erst durchatmen, das Feedback reflektieren und später besonnen antworten.

 

Wer sich zurückzieht, sollte manchmal aktiv werden. Wenn jemand dazu tendiert, Kritik still hinzunehmen, wäre es hilfreicher, direkt und sachlich klarzustellen, dass ein Missverständnis vorliegt.


Es gibt kein allgemeingültiges Richtig oder Falsch – je nach Situation kann die eine oder die andere Strategie besser sein. Wichtig ist, die eigene Tendenz zu erkennen und Raum zu schaffen, um in der Dynamik bewusst zu entscheiden.


Wer «macht» meine Gefühle?


«Weil Du…, bin ich…» ist ein oft gesagter Satz in Beziehungen, Familien und Organisationen. Viele Menschen tun so, als wäre da ein glasklarer Zusammenhang. So gehen sie durch die Welt in der Annahme, dass andere ihnen schlechte Gefühle machen. Das verwundert nicht. Denn diesen vermeintlichen Zusammenhang lernten viele schon früh, etwa durch elterliche Botschaften: «Weil Du Dein Zimmer nicht aufräumst, machst Du Papa traurig.»

 

Tatsächlich kann kein Mensch dem Anderen Gefühle machen. Habe ich eine gewisse Selbstverantwortung ausgebildet, wird mir klar: ich selbst «mache» diese Gefühle. Es ist die Eigenleistung von mir, mich so zu fühlen, wie ich mich fühle. Diese Eigenleistung spiegelt sich wider in automatischen, unbewussten, schnellen Mustern.

 

Diese Muster kann man verstehen als «Reaktionszwang ohne Entscheidungsspielraum». Sie verkleinern den von Viktor Frankl im Eingangszitat genannten Raum zwischen Reiz und Reaktion. Deshalb ist es so wichtig, an diesen Mustern zu arbeiten. Und hier liegt auch Fluch und Segen zugleich: Nur ich bin hierfür verantwortlich und nur ich kann den Reaktionszwang reduzieren. Dabei wird ausserdem klar: Je weniger Selbstverantwortung ich im Innen pflege, desto mehr Konflikte habe ich im Aussen.


Selbstverantwortung aufbauen, Muster durchbrechen


Im Coaching ist u.a. die Auseinandersetzung mit zwei Anteilen hilfreich, um Selbstverantwortung aufzubauen. Wirkungsvolle Ansätze, wie die #MetatheoriederVeränderung und #hypnosystemisches Coaching fokussieren u.a.  auf die Arbeit mit:

 

  1. Anteil «Opfer-Ich»

  2. Anteil «Täter-Ich»

 

Es gilt, beide Anteile in der Coaching-Arbeit zu berücksichtigen. Das vorherige Beispiel verdeutlicht das. Ich bin betroffen vom Feedback meines Chefs und habe dazu eine entsprechende «Täter-Stimme» in mir. Dieser Täter redet mich aggressiv selbst klein, etwa so: «Wie kannst Du so blöd sein, eine derart flache Präsentation zu halten?» Mit dieser Stimme sollte ich in Kontakt kommen, wenn ich mein Muster durchbrechen und meine Selbstverantwortung stärken will. Dafür braucht es standhafte Begleitung und ein breites Repertoire an Methoden, wie die Arbeit mit Repräsentanzen, Bezugsrahmen und Selbstwahrnehmung.



Neben dem Umgang mit Personen und Situationen ist Selbstverantwortung auch bei wichtigen Lebensentscheidungen zentral. Geht es etwa um «bleiben oder gehen», also bspw. kündigen, den Weg in die Selbstständigkeit einschlagen: ja oder nein? In vielen Coaching- und Beratungsansätzen wird hier eine pro/contra-Liste der jeweiligen Vorzüge erstellt. Das kann ein sinnvoller Startpunkt sein, bleibt aber letztlich oberflächlich.

 

Geht es um wichtige Entscheidungen, ist eine Auseinandersetzung mit zugrundeliegenden Ängsten essenziell: hier kann es bspw. darum gehen, die Angst vor dem Risiko und die Angst vor der Erstarrung gemeinsam und emotionsbezogen zu erkunden. So kann eine nachhaltige, bewusste Entscheidung zustande kommen.


Der Weg zur inneren Freiheit


Wir brauchen so etwas wie eine «Impulsintelligenz», um flüssig auf den Wellen der Impulse reiten zu lernen. Um diese Impulsintelligenz auszubilden, ist ein kontakt- und vertrauensvoller Dialog mit einem/r Coach unabdingbar. Im geteilten Dialograum gilt es, das, was bisher nicht sein durfte, zu bergen. Wenn es gemeinsam, mit einer klaren Haltung in diese Tiefe geht, wird deutlich: Der Weg zur inneren Freiheit geht über die unangenehmen Gefühle.

  • Autorenbild: Patrick Jiranek
    Patrick Jiranek
  • 27. Nov. 2024
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 13. März

Achtsamkeitstechniken liegen im Trend, sowohl privat als auch im Unternehmenskontext. Und trotzdem nimmt die Erschöpfung in der Arbeit zu, Burnout-Raten steigen. Was, wenn die Meditationsstunde über Mittag doch nur dazu da ist, die anstehenden Nachmittagsmeetings noch produktiver zu überstehen? Und was macht regenerative Arbeitsräume in der Organisation der Zukunft aus?



Meditation als «Tool»


Zum Ende meines Psychologiestudiums wurde bei mir im Hinterhof in München-Schwabing ein Meditationszentrum eröffnet. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon länger die Absicht gefasst, zu meditieren. So verstand ich die Eröffnung vor gut 15 Jahren als so etwas wie ein Zeichen.

 

Meditation und Achtsamkeit wurden schnell zu einem festen Bestandteil meines Tagesablaufs. Es ging mir anfangs darum, im kopflastigen Studienalltag auf ein spirituelles Ziel hin zu arbeiten. Aber vor allem wollte ich, ehrlich gesagt, Klarheit im Kopf erlangen. Das heisst, ich wollte die Übersicht behalten, wenn wieder alle Gedanken auf einmal kommen; wenn es unklar wird, was davon wichtig ist, mit was ich eigentlich beginnen sollte: zu beantwortende SMS, Erledigungen, Abgabetermine und zu bezahlende Rechnungen. All diese «To Dos» konnten bisweilen die Form einer mich mitreissenden Flutwelle annehmen.

 

Meditation wurde bald zu einem «Tool», das ich genutzt habe, um gut geordnet in den Tag zu starten, um meine Gedankenflut zu zähmen. Anfangs noch begleitet von fremdsprachigen Mantren, erzeugt durch meine vibrierende Kopfstimme. Im Meditationszentrum übte ich wöchentlich im Gruppensetting ein, was mich dann über die Woche im stillen Kämmerlein begleitete.


Meditation zur Selbstoptimierung


Strikt hielt ich mich an die Routine der täglichen Wiederholung. So kam das Meditieren wie Zähneputzen, quasi «diszipliniert» in mein Leben: man macht’s täglich, zweckgebunden. Etwa, um in der Flutwelle zu bestehen und nicht von ihr fortgerissen zu werden.

 

Dann kam das Doktorat in Zürich an der ETH. Mit dem Umzug in die Schweiz nahm ich 2010 neben Möbeln auch die alltäglich gewordene Routine des Meditierens mit. Mit den Anforderungen der Fördermittelakquise, Recherche, Textproduktion, Veröffentlichung, Herausgeberschaft, Betreuung von Abschlussarbeiten und Vorträgen bestand genug Potenzial für Gedankenflut.

 

Dabei wurde Meditation schleichend zu meinem Tool der Selbstoptimierung. Teils kamen zündende Ideen im mehr schlecht als recht ausgeführten Lotussitz. Dann hinkte und stolperte ich mit eingeschlafenem Fuss vom Kissen zum Schreibtisch, um mir hastig die Ideen zu notieren. Es ging also jetzt immer mehr darum, die Meditation für Produktivität zu nutzen.

 

Wie schnell sich diese Selbst-Optimierungsstrategien und Zeitmanagement verselbstständigen und ausweiten, beschreibt Oliver Burkeman in «4000 Wochen» sehr anschaulich als wucherndes Fass ohne Boden. Und so geschah es auch bei mir: Was im Hinblick auf Arbeitsthemen begann, verschob sich später ins private Leben.

 

Die Optimierung wurde zum Selbstzweck. D.h. ich habe mich bspw. von sozialen Situationen abgeschirmt, um Ideen bringende Momente nicht zu verpassen; mir und anderen ggü. Zeitdruck aufgebaut, wo keiner nötig war. Dieser Selbstzweck fiel auf fruchtbaren Boden. Mein Antreiber «sei perfekt» war die Erde. Diese Erde nahm die Aussaat der Selbstoptimierung dankend auf. Und es wuchs etwas empor, das mich weit von meinem inneren Kern entfernte.



Achtsamkeit als Komplize des Burnouts


Ein zentraler Wendepunkt in meinem Verständnis von Achtsamkeit war der Unterschied zwischen Selbstwert und Selbstmitgefühl. Der Fokus auf Selbstwert ist oft nach außen gerichtet – Ziele erreichen, Bestätigung von anderen erhalten. Selbstmitgefühl dagegen ist innerlich. Es bedeutet, sich selbst so anzunehmen, wie man gerade ist: ohne den ständigen Druck, sich beweisen zu müssen. Es ist eine nachhaltigere Form von «Self-Care», die nicht auf externen Erfolg angewiesen ist. Ich erkannte nach einiger Zeit, dass Meditation und Achtsamkeit mir helfen konnten, mich mit Selbstmitgefühl zu betrachten, statt mich ständig an den Standards der Selbstoptimierung zu messen.

 

Und gleichzeitig wurde mir klar: Meditation kann, wenn der Stress im Privat- und Arbeitsleben zunimmt, ein Komplize des Burnouts werden. In einem Podcast hörte ich eine treffende Metapher: Meditation kann wie ein Gefängnis sein, wenn sie nur dazu dient, die Erschöpfung zu überdecken, anstatt wirklich etwas Grundlegendes zu verändern.

 

Auch ich nutzte Meditation oft, um mich kurzfristig besser zu fühlen, ohne die tieferliegenden Ursachen meiner Überlastung anzugehen. Das ist in stresserfüllten Lebensphasen nachvollziehbar: die menschliche Psyche schaltet dann in eine Art Autopilot. Achtsamkeit kann dann für den Moment und den Kontext funktional sein. Das heisst, sie half mir dabei, weiter produktiv im System zu arbeiten. Aber am System selbst, also bspw. an der Art, wie ich arbeitete und mich erholte, mit mir selbst und anderen sprach, welche Grenzen ich setzte, veränderte ich nichts.

 

Der Schlüssel lag für mich darin, meine innere Haltung gegenüber Meditation zu hinterfragen. Warum meditiere ich? Um zu funktionieren, den Alltag zu bewältigen? Oder meditiere ich, weil es einem Bedürfnis in mir entspricht? Dabei ist wichtig zu betrachten: kann ich mein Bedürfnis stillen oder ist es unersättlich? Ist letzteres der Fall, ist im Sinne der Bedürfnisregulation davon auszugehen, dass Meditation lediglich ein Ersatzbedürfnis darstellt. Dass ich Meditation also nutze, um etwas anderes zu überdecken oder zu vermeiden: bspw. meine Angst vor Ineffizienz oder Kontrollverlust.


Achtsamkeit und Erschöpfung in Organisationen


Nun stellt sich die Frage, wie Achtsamkeit in Organisationen wirken kann. Eine Selbstwert dienliche, auferlegte, zielorientierte Achtsamkeit wird nachhaltig kaum hilfreich sein. Sie wird die Selbstoptimierung nur weiter forcieren. Wie bereits erwähnt, ist die Haltung von Mitarbeitenden und auch das «Framing» in Unternehmen entscheidend: geht es um das Instrumentalisieren von Meditation zur Kreativitäts- und Leistungssteigerung, spüren das Mitarbeitende schnell. Ist Meditation ein Steigbügel für Selbstwert, Effizienz und Selbstverwirklichung, wird es problematisch.

 

Alain Ehrenberg beschreibt in «Das erschöpfte Selbst», dass die moderne Gesellschaft zunehmend durch den Druck der Selbstverwirklichung geprägt ist. Die ständige Forderung nach individueller Leistung führt zu chronischer Erschöpfung, weil Menschen gezwungen sind, sich permanent selbst zu optimieren. Dies überträgt sich auch auf Organisationen, wo die Grenze zwischen beruflicher und persönlicher Leistung verwischen kann.

 

Das heisst, wenn im inneren Dialog die Überzeugung entsteht, „ich bin erst ein wertvoller Mensch, wenn ich ständig volle Leistung bringe“, dann liegt etwas im Argen. Korrespondiert die Unternehmenskultur dieses Leistungsanspruchs im Aussen mit Antreibern wie „sei perfekt“ oder „mach es anderen recht“ im Innen, so entsteht ein Risiko für Erschöpfung.


Individuelle Selbstverantwortung in Organisationen


Neben der Verantwortung von Organisationen sind auch Mitarbeitende dafür verantwortlich, ihre Haltung zu reflektieren. Dafür ist es wichtig, ihnen ihre Selbstverantwortung bewusst zu machen. Das bedeutet, dass ein Individuum die Verantwortung für eigene Entscheidungen, Emotionen und Handlungen übernimmt, statt die Ursachen für Schwierigkeiten und Blockaden im Aussen zu suchen.

 

Ist eine Person nicht in ihrer Selbstverantwortung, kann es sein, dass sie versucht, andere Menschen oder äussere Umstände zu beeinflussen, um sich vor unangenehmen Gefühlen zu schützen: Also als Führungsperson beispielsweise nur Mitarbeitende anstellt, die ihr nicht gefährlich werden können, weil sie etwa keine eigene Meinung äussern.

 

Damit ein Team entsteht, das konstruktiv mit Widersprüchen und Kontroversen umgeht, ist es aber wichtig, die eigene innere Haltung, Verhalten oder Perspektiven zu hinterfragen. Die Haltung, dass eigenes Wohlbefinden oder eigene Ziele aktiv durch Manipulation äusserer Umstände bewirtschaftet werden müssen, läuft dem entgegen. Absichtslose, auf Achtsamkeit fokussierte Meditation kann helfen, die eigene Haltung zu ändern. Denn sie setzt an dem Punkt an, wo etwas als unangenehm wahrgenommen wird. Also an der Wurzel.



Achtsam- und Konfliktfähigkeit für regenerative Arbeitsräume

 

Organisationen sehen sich schon heute hoher Komplexität und Widersprüchen ausgesetzt. Es gilt das scheinbar Unvereinbare zu vereinen. Auf der einen Seite sind sie konkurrenzfähige, auf Effizienz getrimmte Räume; ökonomische Überlebensfähigkeit ist und bleibt ein fundamentaler Bestandteil ihrer Identität. Auf der anderen Seite fordern aber Mitarbeitende und Kunden:innen mehr «Purpose»: das heisst übergeordneten Sinn und Zweck, also Aspekte, die weit über Umsatz und Gewinn hinausgehen. Konflikte hierzu sind vorprogrammiert.

 

Klaus Eidenschink zeigt in «Die Kunst des Konflikts» anschaulich, dass Konflikte unvermeidlich sind und als Ressource genutzt werden können. Denn Konflikte reflektieren oft die tiefer liegenden systemischen Probleme einer Organisation. Sie zeigen, wo bspw. Kommunikationswege oder Werte nicht im Einklang sind. Auch Morton Deutsch hat mit seiner Theorie der «Konstruktiven Kontroverse» das Potential von Konflikten aufgezeigt. Demnach fördern sie kritisches Denken und Kreativität und können Innovation und Veränderung ermöglichen.

 

Organisationen sollten demnach Räume schaffen, in denen Konflikte nicht nur zugelassen, sondern aktiv und produktiv genutzt werden. Führungspersonen spielen hierbei eine entscheidende Rolle. Sie sollten dafür sorgen, dass Konflikte offen und wertschätzend ausgetragen werden und so zu einer konstruktiven Konfliktkultur beitragen.

 

Zudem können Organisationen Strukturen etablieren, die Raum für Erholung, Reflexion und wechselseitige Resonanz bieten – abseits von Leistungsdruck und permanenter Selbstverbesserung. Das könnte durch flexible Erholungszeiten oder das aktive Fördern von nicht-arbeitsbezogenen Interessen geschehen. So ist neben der Sportgruppe auch die Achtsamkeitsgruppe förderwürdig. Dabei ist es wichtig, keine Ziele an Achtsamkeit zu knüpfen.

 

Die Verbindung zu Ehrenbergs Thesen verdeutlicht: Mitarbeitende benötigen mehr als nur kurzfristige Maßnahmen zur Steigerung ihrer Produktivität. Sie brauchen regenerative Räume, die es ihnen ermöglichen, sich nicht nur an äußeren Anforderungen, sondern auch an ihren tieferliegenden, eigenen Bedürfnissen zu orientieren. Letztlich können so Arbeitsräume entstehen, die nicht nur nicht schaden, sondern Ressourcen bieten. So kann «mindlessness» wieder «mindful» werden.



---Dieser Blogbeitrag ist auch bei futureready.ch erschienen---


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