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  • Autorenbild: Patrick Jiranek
    Patrick Jiranek
  • 27. Juni 2024
  • 2 Min. Lesezeit

„Krise ist ein produktiver Zustand, man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen“ (Max Frisch)


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Dieses Zitat hatte ich vor mehr als 10 Jahren, frisch in der Schweiz angekommen, gelesen. Obwohl es mir nicht aus dem Kopf ging, löste es anfangs eher Unverständnis aus. Über Jahre von Elternschaft, wechselnden Arbeitsverhältnissen und -rollen hinweg, entstand mehr Klarheit zum Resilienz bildenden Effekt von Krise. Das hing eng zusammen mit der Erkenntnis, dass ich immer mal wieder gerne Problematisches, Forderndes vermieden habe: bspw. Situationen, in denen Andersdenkende mich „triggern“.


Das Produktive in Krisen


Systemtheoretisch gelten Krisen als Momente, in denen die Komplexität eines Systems seine Fähigkeit überschreitet, Information zu verarbeiten. Zudem gilt die Gleichung: Je höher die Komplexität, desto mehr Widersprüche sind vorhanden und gilt es auszuhalten. Es greift gewissermassen die Logik "das Richtige ist Falsch und das Falsche richtig". Und hier wird es spannend und relevant für die Frage, ob und wie Krise produktiv sein kann. Je weniger wir bereit und fähig sind, auch Widersprüche auszuhalten - im Innen wie im Aussen - desto schwerer wird es uns fallen, Krisen produktiv zu nutzen.


Widersprüche ausserhalb der "Bubble"


Das ist in der heutigen Zeit, in der wir durch soziale Medien in einen Zustand von „wir sind uns doch alle einig“ gelullt werden, mehr die Regel als die Ausnahme. Geraten wir dann in der physischen Realität ausserhalb der Blase an Andersdenkende, überrumpeln uns deren Widersprüche. Doch gerade diesen Widersprüchen sollten wir uns stellen und soziale Situationen ausserhalb der Blase suchen. Zudem sich eigener Anteile bewusster werden. Denn problematisch werden Widersprüche erst, wenn ich Anteile in mir mundtot mache, die den Widersprüchen im Aussen etwas abgewinnen können.


Das Katastrophale in Krisen


Wie wird also die Krise katastrophal? Am ehesten, wenn ein Individuum oder eine Gruppe weiter macht wie bisher und auf vermeintlich Bewährtes setzt: „Fight fire with fire“. Das kann passieren, indem auf Aktionismus noch mehr Aktionismus folgt. Oder mit anderen Worten: arbeiten wir weiter vermeidungsgetrieben im System, statt am System, ist das ein Garant für Stillstand.


--Dieser Beitrag erschien auch auf LinkedIn--

  • Autorenbild: Patrick Jiranek
    Patrick Jiranek
  • 18. Apr. 2024
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 19. März

Ich starte meinen Blog mit Vertrauen. Warum? Weil wir Vertrauen häufig als Kit unseres Miteinanders wahrnehmen. Gleichzeitig erleben wir heute Phänomene wie «deep fakes», Verschwörungsglauben und Manipulation durch die «Bubble» via Algorithmen in sozialen Medien. Dies lässt blindes Vertrauen zumindest bedenklich erscheinen.


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Soziales Vertrauen 


Aussagen wie «Vertrauen muss man sich verdienen», «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser» oder «Vertrauen braucht lange, um aufgebaut zu werden, aber ist schnell verspielt» spiegeln einerseits das Menschenbild wider, das hinter den Aussagen steckt. Aber zeigen auch, dass Vertrauen ein wichtiges und doch fragiles soziales Gut ist. Sozialwissenschaftlich hat Vertrauen deshalb viel Aufmerksamkeit erhalten. 


In der Systemtheorie des Soziologen Niklas Luhmann ist es ein Mittel, um Komplexität zu reduzieren. Das ist für unsere immer komplexer werdende Welt sehr wichtig: Vertrauen ermöglicht Menschen in einer unsicheren Umgebung handlungsfähig zu bleiben und schnell zu reagieren. Denn wenn ich vertrauen kann, muss ich nicht jede Information prüfen und kann schneller entscheiden. Und in der Spieltheorie wird deutlich: Vertrauen lohnt sich auch ökonomisch.


Organisationales Vertrauen


In der Konstruktiven Kontroverse des Psychologen Morton Deutsch ist Vertrauen die Grundvoraussetzung, u.a. für kreatives Problemlösen in Organisationen. D.h. Vertrauen versinnbildlicht ein unterstützendes Umfeld, in dem sich Menschen wohl fühlen, auch wenn sie Risiken eingehen: etwa, wenn sie neue Ideen präsentieren. 


Dies wird auch deutlich durch das bei Google prominent gewordene Phänomen der Psychologischen Sicherheit. Vertrauen ist hier der unsichtbare und zentrale Faktor: Gleiche Redezeit, persönliches Öffnen, wenn man dran kommt im Meeting, salopp «sich nicht blöd fühlen, wenn man Fragen stellt». Ohne Vertrauen in die Gruppe ist das schwer möglich.


Gleichzeitig ist wichtig anzumerken, dass für das Funktionieren von Organisationen Vertrauen in das System wichtiger ist, als Vertrauen in Einzelpersonen.


Kooperatives Vertrauen


In der Partizipation im Klimaschutz mit diversen Akteurs-Gruppen habe ich gelernt: ohne Vertrauen keine Co-Creation bzw. Kooperation; gerade dann, wenn sich Stakeholder zusammentun sollen, die hinter verhärteten Fronten verschiedene Ziele verfolgen.


Etwa Mitarbeitende einer Stadtverwaltung, die Ziele ihrer Abteilung vertreten, treffen auf Aktivisten:innen, die harsche Kritik äussern an ebendiesen Aktivitäten (oder am Nichthandeln) der Abteilung. Beide Seiten antizipieren häufig Charakteristika der «Gegenseite». Gelingt es aber, das offen zu thematisieren und neben der Vernunft auch emotionale Anteile in der Begegnung zu berücksichtigen, entsteht Momentum für gemeinsames Handeln.


Grundlage hierfür kann die Theory U bieten. Hier können Teilnehmende feststellen, dass ALLE Teil EINES Systems sind: es entsteht ein wechselseitiges Bild differenzierter wahrgenommener Mit-Bürger:innen. Ohne Begegnung bleibt häufig das undifferenzierte Bild der «Gegenseite» bestehen.


Aus meiner praktischen Erfahrung ist neben ganzheitlichen methodischen Ansätzen - also jenen, die Emotionen einbeziehen, statt sie auszuklammern - schlichtweg physische Begegnung wichtig, um Vertrauen aufzubauen.


🌳 Wie Vertrauen in Kooperationen wächst: Durch Zuverlässigkeit, Offenheit, Präsenz, Nahbarkeit, Fehler-/Experimentierfreudigkeit, Dialog auf Augenhöhe, Respekt, gemeinsame Erfahrungen.

 

🎲 Wie man Vertrauen bei Kooperationen verspielt: Durch Kontrolle, Unverbindlichkeit, erhobenen Zeigefinger, Intransparenz bei Entscheidungen und Interaktionen, Spiel auf Zeit.


Selbst-Vertrauen

 

Doch wie steht es um das Vertrauen in die eigene Person? In meinem Coaching-Ansatz und im Rahmen meiner eigenen Veränderung lerne ich: Selbst-Vertrauen verhilft zu einem sichereren Umgang mit Unsicherheit. Es steht u.a. in Zusammenhang mit Selbstakzeptanz, #Selbstverantwortung und «Bewusstheit».

 

Bei der Selbstakzeptanz geht es, in aller Kürze, darum, wie sehr innere Anteile einander bejahen oder auch verneinen. D.h. wie stark ist mein innerer Konflikt?

 

#Selbstverantwortung bezieht sich darauf, ob eine Person sich als betroffen oder handelnd wahrnimmt. Ob man sich bspw. als Spielball äusserer Reize sieht oder sich selbst als Gestalter:in eigener Empfindungen.

 

«Bewusstheit» stammt aus der Gestalttherapie und entspricht dem englischen Begriff Awareness. Mit Bewusstheit können wir die Spaltung zwischen Denken und Fühlen durchbrechen und einer starken «Kopflastigkeit» entkommen.


Wenn ich mir also unbewusster Anteile kognitiv bewusst(er) werde und gleichzeitig lerne, differenziert(er) zu fühlen. Dies gelingt am ehesten, wenn ich mit einem geschulten Gegenüber übe, emotionale Anteile in mir wahrzunehmen und zu benennen.



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Vertrauensfähig- und Vertrauenswürdigkeit

 

Die Frage, ob wir vertrauensfähig sind, beantworten gegenwärtige Autoren verschiedener Generationen, wie Jeremy Rifkin mit «Empathic Civilization» und kürzlich auch Rutger Bregman mit «Im Grunde gut» anschaulich; u.a. dank Bezügen zu bildgebenden neurowissenschaftlichen Verfahren und epidemiologischer Forschung wird deutlich: wir sind viel vertrauensfähiger als wir manchmal denken.

 

Die Frage danach, wie vertrauenswürdig physische und auch digitale Institutionen sind, wechselt die Blickrichtung: D.h. wie nachhaltig ist unser Vertrauen, wenn Meinungsbildung manipulativ wird? Ein Beispiel hierfür sind Wahl-Einflussnahmen auf Facebook à la Cambridge Analytica.

 

In Zeiten von «Fake News», KI, ChatGPT, kriegerischen Auseinandersetzungen vor der Haustüre, kann unser Vertrauen bröckeln. Da erscheint «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser» durchaus angebracht. Denn es ist heute so, dass wir immer mehr Fakten prüfen müssen: sozialen Medien blind zu vertrauen wäre fahrlässig.


Die Vielschichtigkeit des Vertrauens


Man kann also nicht einfach sagen, dass Vertrauen, bspw. um Komplexität zu reduzieren, immer gut ist. Vor allem im Informationszeitalter steht die Vertrauenswürdigkeit digitaler Information auf wackligen Beinen.


Gleichzeitig gilt es auch in Organisationen eine Balance aus Kontrolle und Vertrauen zu halten. Denn auch Kontrolle, etwa im Sinne von Zielerfüllung hat eine wichtige Funktion: sie hilft bei der Orientierung. Gleichzeitig spielt hierbei Kommunikation eine entscheidende Rolle, damit Kontrolle nicht zu Misstrauen führt.   


Und was das Selbstvertrauen anbelangt: hier ist der reine Verstand nicht immer der beste Ratgeber. Vielmehr ist ein fundiertes, d.h. auch auf affektiven und psychodynamischen Anteilen aufbauendes, Selbst-Vertrauen wichtig.


--Dieser Beitrag erschien als kürzere Version auch auf LinkedIn--


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